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(Frage) beantwortet | Datum: | 15:33 Fr 19.01.2007 | Autor: | jane882 |
Hi!
Hoffe ihr könnt mir helfen.
Es geht um die Weltindustrieproduktion in den Vereinigten Staaten und in Indien + Pakistan in den Jahren 1970-1910.
Wieso haben die Vereinigsten Staaten da so ein hohes Industriewachstum? Im Gegensatz zu Pakistan und Indien? Da verringert es sich immer weiter.
Würde mich sehr über eine Antwort freuen.
Viele Grüße
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Uiuiui... das ist eine sehr kurze Frage, aber die Antwort dürfte dir wahrscheinlich nicht gefalle... kurz wird sie sicher nicht.
Ich empfehle dir gleich vorweg, entsprechende Fachliteratur zu konsultieren (Buchtipps folgen weiter unten):
Meine allgemeine Antwort: Es ist schwer Äpfel und Birnen zu vergleichen :)
Was steckt hinter der Aussage? - Nunja, als mathematisch geprägter Mensch würde ich sagen: "Prüfe die Voraussetzungen".
Die USA haben:
- einen geschlossenen Binnenmarkt, der - obgleich die Besteuerung je nach Bundesstaat schwankt - nach inen sehr stabil und konsistent ist
- keinen Bürgerkrieg
- keine internen Bestrebungen sich zu teilen
- bereits seit ein paar Jährchen ihre Unabhängigkeit
- eine auf dem Weltmark etablierte Währung
- Martkwirtschaft mit entsprechenden Instanzen voll ausgeprägt
Indien:
- um 1910 bist du quasi in der frühen Phase eines aufkommenden Nationalismus: 'die Inder' (ich schreib das mal so plakativ; es gibt zu der Zeit nicht 'die Inder' sondern viele Splittergruppierungen!) entdecken langsam, dass ein Nationalstaat evtl. etwas erstrebsames für sie ist (wichtig dabei auch für heutige Kontroversen: Das Konzept des Nationalstaates ist nichts indigen-indisches! Heute wird das im Bereich der 'postcolonial studies' relativ kontrovers diskutiert. Man redet auch gern von "English rule without the Englishmen")
- um 1930 setzt eine - durch Personen wie Mahadma Ghandi - stark polarisierte und polarisierende Nationalbewegung ein; hierbei kommt es zur Anlage eines maßgeblichen Konfliktfeldes: die neue nationale Identität ist eng mit der indische Religion verquickt; es baut sich ein Konflikt mit den Muslimen des Landes auf
- 1947 bricht der 'Kashmir'-Konflikt erstmalig aus; Indien und Pakistan bekriegen sich die nächsten 2 Jahre. 1965 erlebt diese Auseinandersetzung eine Renaissance; der Krieg verwüstet Agrargebiete und lähmt die Wirtschaft, da entsprechendes Kriegsmaterial auf beiden Seiten beschafft werden muss
- erst 1950 wird Indien zu einer Republik und kann sich auf die Etablierung und des Aufbau eines 'freien Marktsystems' stürzen
- 1971 kommt es nochmal zum Krieg mit Pakistan - Bangladesh wird gegründet
Warum ging das Industriewachstum in Indien zurück?
- beide sind in einen Krieg verwickelt - dies kostet sowohl Männer (und somit auch Arbeitskräfte) als auch materielle und geistige Ressourcen.
- Indien war zuvor über das britische Netzwerk in den Weltmarkt eingebunden - die Nationalbewegung legt eine Vielzahl dieser Kanäle erstmal trocken; erst nach der inneren Konsolidierung Indiens ist wieder an entsprechende Wirtschaftsimpulse zu denken.
- die Kasten - die ja auch heute noch existieren und ein Überbleibsel der britischen Kolonialherrschaft sind - lähmen ebenfalls Impulse der Wirtschaft; soziale Immobilität ist immer lähmend für die Wirtschaft.
- die indische Wirtschaft ansich ist in einer entsprechenden Krise: die vor 1900 noch 'preiswerte Handarbeit' aus Indien ist längst nicht mehr rentabel - gemessen an Massenbedarfsländern wie die USA, die auch entsprechend große Mengen konsumieren und auch produzieren. Gerade China/Japan können durch Technologie und gefestigte Strukturen den Markt besser bedienen als Indien es zu dieser Zeit kann -> die Nachfrage auf dem indischem Markt sinkt drastisch ab.
- die indische Nationalbewegungn und der äußere Konflikt hat die Diskussion um die eigene Identität Indiens weiter eingeschärft; vielerorts fragt man sich nach vielen Jahren der Fremdbestimmtheit, welchen Weg man einschlagen möchte.
Über Pakistan kann ich dir nicht viel sagen, da ich mich - abgesehen von den Grenzkonflikten - nicht wirklich mit dem Land und dessen strukturellen Eigenheiten beschäftigt hab.
Warum ging es in den USA bergauf?
- auch hier multiple Gründe
- Kriegserfolge bringen Reparationszahlungen, die sinnvoll in Technik und Ressorcengewinnung investiert werden können
- der entstehende Aktienmarkt erlaubt die privatwirtschaftliche Partizipation an großen Errungenschaften
- ungebrochenes internes Konsumverhalten in den USA
- 'kulturimperialistische Vorzüge': Damit will ich sagen - dadurch dass die USA bspw. in Deutschland einen militärischen Sektor nach der NS-Zeit unterhielten, hat sich die Zahl der Rezipienten für US-amerikanische Waren vervielfacht
- große amerikanische Marken gelangen zu Weltruhm und der US-Export steigt dadurch; auch bei den Impulsgebern wie Coca-Cola und Konsorten spielt die mediale Inszenierung natürlich eine Rolle
- kalter Krieg nach dem Krieg: Die USA sind die 'westliche Garantiemacht' in diesem Zwei-Fronten-Konflikt: Man will besser sein als die UDSSR und investiert viel in Forschung, Technik, Ausbildung - das kommt den USA entsprechend zu gute
Das alles sind nur spontane Assoziationen. Denke, dass du das sicher noch mit etwas Material aus dem Schulbuch aufpeppen kannst.
Literaturhinweise:
Roethemund, Dietmer: Geschichte Indiens, Reihe Beck-Wissen. - Ist zwar nur ein dünnes Heftchen für 7,90 aber für schulische Zwecke mehr als ausreichend. Liest sich auch morgens in der Bahn gut weg ;)
Goswami, Omkar: Industry, trade, and peasant society, Colcata 1991
Sathyamurthy, T. V.: Industry and agriculture in India since independence, 1995
Bhagwati, Jagdish N.: India in transition, 1993
Agrawal, Pradeep: Economic restructuring in East Asia and India, 1995
Ahmad, Naseem: Probleme der Industriefinanzierung in Pakistan, 1961
Namárie,
sagt ein Lary, wo hofft, dass dir das was bringt
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(Frage) beantwortet | Datum: | 12:14 Sa 20.01.2007 | Autor: | jane882 |
Hi!
Vielen Dank für deine ausführliche Antwort.
Aber bezüglich der industriellen Entwicklung in Indien/Pakistan...beziehst du dich auch nur auf die Zeitspanne 1860-1913?! Denn ich darf nur diesen Zeitraum untersuchen und muss dann unterschiedliche Gründe für die Verringerung des Wirtschaftswachstums nennen.
Grüße, Jane
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Nein, bezog ich mich nicht.
In deinem ersten Thread steht 1970-1910. Dass da ein Zahlendreher vorliegt kann ich nicht ahnen ;)
Das Moment des beginnenden Nationalismus (beginnend mit dem Dharma Sabba usw. und indischen Führungseliten aus dem Zentralraum Bengalen, wie etwas Rammohan Roy) greift trotzdem. Vor allem auf technischem Sektor kommt es mit zunehmendem Rückzug Großbritanniens (da die indische Handarbeit im Textilsektor teurer war, als die innländische Massenproduktion in der Industrie, versiegte das Interesse Englands an Indien immer mehr) aus Indien auch zu einer Stagnation im Ausbau der Infrastruktur. Eisenbahnprojekte wurden gestundet oder verworfen usw.
Und - gemäß der Wirtschaftsrichtlinien - die Nachfrage bedingt die Einnahmen. Da Indien nur schwach technologisiert war (hatte man doch vornehmlich die preiswerte Handarbeitsleistung im kolonialen Kontext ausgebeutet), konnte es den Anforderungen des Weltmarktes nicht gerecht werden.
Interne Konflikte zwischen Hindus und Muslimen gab es aber auch zu dieser Zeit zur genüge. Dabei ist vor allem ein entsprechendes Nord-Süd-Gefälle festzustellen; der Norden war traditionell der Sitz eine recht starken muslimischen Führungsschicht, da dort auch der Fremdherrscherhof der muslimischen Moguln (das war vor der englischen Kolonialzeit) beheimatet war.
Hoffe, dass nutzt dir weiter.
Namárie,
sagt ein Lary, wo nun Mathe macht
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